Ist es ein Privileg, Wut zu zeigen?
(Textauszug aus ‚Wut – ein Privileg‘ von Geraldine Wronski. Den ganzen Text findest du im Buch ‚Die Wut ist weiblich‘)
Laut schreien, auf den Tisch hauen oder fluchen, das alles sind Ausdrücke entfesselter Wut. Wenn sie sich nicht aggressiv gegen andere Personen richten, können sie eine Erleichterung herbeiführen, eine Katharsis, und somit auch Ausdruck von Psychohygiene sein.
Wut sagt: “bis hierhin und nicht weiter!“ Wut zeigt Grenzen auf und fordert Raum, sie kann Veränderung einleiten, sie ist ein Ausdruck der eigenen Gefühlswelt und zeigt dem Gegenüber ganz deutlich, dass etwas gehörig schiefläuft. Die Frage ist nun, wie es bei uns um diese starke Emotion bestellt ist? Haben wir alle den gleichen Zugang zu unserer Wut? Wie bewerten wir diese Emotion? Wie viel Wut gestehen wir uns zu und bringen wir diese zum Ausdruck? Oder unterdrücken wir sie?
Der Mensch ist vor allem ein soziales Wesen, ein „homo soziologicus“. Er strebt durch seine Handlungen nach Akzeptanz und Einbettung in die Gemeinschaft. Insofern können wir Wut nicht nur aus der individualpsychologischen Perspektive betrachten, sondern müssen immer auch den gesamtgesellschaftlichen Kontext, in dem sich das Individuum befindet und agiert, mit einbeziehen. Gesellschaftlich betrachtet ist die Akzeptanz von Wut sehr komplex.
Wut zu empfinden und dieser Wut dann auch laut und deutlich Ausdruck zu verleihen, wird nicht allen Personen gleichermaßen zugestanden und ist auch in unserer hiesigen – patriarchalischen – Gesellschaft gewissermaßen ein Privileg.
Der Wut-Diskurs wird anhand der patriarchalisch binären Unterscheidung zwischen Mann und Frau unterteilt in weibliche und männliche Wut. In der Folge steht Wut nicht mehr für sich, als Emotion, die ein natürlicher Teil unseres Gefühlsspektrums ist, sondern wird geschlechtsspezifisch klassifiziert – Wut wird zum Spiegel gesellschaftlich akzeptierter Rollenstereotypen.